Reifendruck schwankt stark

  • Die 20 Grad haben einfach nur die Bewandnis der festen Randbedingungen. Alles ist immer bei 20 Grad. Leistungsangaben, Verbrauchsangaben, etc.
    Die Reifendruckangaben beziehen sich ganz einfach auf den Zustand bei Fahrtantritt und beziehen die Erwärmung des Reifens und damit den Druckanstieg während der Fahrt mit ein. Die richtige Aussage wäre also "diesen Druck nicht unterschreiten". Einen Fahrluftruck bei warmen Reifen anzugeben, wäre nämlich ziemlich schwierig, da der natürlich je nach Fahrprofil immer anders ist. Wer 20km Stadt fährt hat einen deutlich geringeren Anstieg als jemand der 20km Autobahn fährt.
    Reifenluftdruck ist immer ein Kompromiss. Genau wie der Reifen selbst. Gummimischung, Profilart, Größe,... Lange Haltbarkeit steht im Widerspruch mit Grip. Gute Aquaplaningeigenschaften stehen im Widerspruch mit gutem Trockengrip. Kurzer Bremsweg steht im Kompromiss zu gutem Kurvenverhalten.
    Der in der Betriebsanleitung angegebene Druck gibt die Grundvoraussetzung für den besten Kompromiss im Alltagsbetrieb an. Die angegebenen 2.2/2.0 bar garantieren z.B. sehr guten Trockengrip, gute Wasserverdrängung, angemessene Haltbarkeit, Hochgeschwindigkeitsstabilität und das vorgesehene Selbstlenkverhalten des Fahrezugs aufgrund der Schräglaufwinkel.
    Der Eco-Reifendruck vermindert den Verschleiß und erhöht theoretisch die Hochgeschwindigkeitsstabilität, wenn der Karton denn schneller laufen würde. Dafür leidet dann der Komfort mäßig und Trocken- sowie Nassgrip nehmen ab. Bei härterer Gangart (Beschleunigung, Bremsen, Kurvenfahrt - nicht schnell Geradeausfahren) kommt der Reifen zudem schneller an seine Grenzen, da die Lauffläche schnell überhitzen und ausglasen kann: je höher der Druck, desto kleiner die Auflagefläche, desto mehr Reibungswärme pro Fläche. Deswegen fährt man auf dem Track eher niedrigen Grunddruck, was auf der Autobahn in einem Reifenplatzer enden würde. Hier ist bei Höchstgeschwindigkeit die Walkstabilität wichtig. Je niedriger der Druck, desto mehr Auflagefläche (Latschlänge), desto mehr Walkarbeit. Walkarbeit gleich Reibungswärme; zu viel Reibungswärme in der Karkasse gleich Laufflächenablösung, gleich Bumm.
    Der angegebene Druck bei kalten Reifen berücksichtigt den besten Kompromiss aus Grip, Komfort und Verschleiß und garantiert zudem die Hochgeschwindigkeitsstabilität
    sowie ein sicheres Eigenlenkverhalten. Wenn du auf dem Rastplatz übernachtest und am nächsten Morgen startest, auf die Bahn fährst und auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigst, biste also auf der sicheren Seite. Wenn du den Druck so einstellst, dass du erst nach paar Kilometern Fahrt den erforderlichen Mindestdruck erreichst, hast du eben diesen Übergangsbereich, in dem z.B. die Hochgeschwindigkeitsstabilität nicht sichergestellt sein könnte.
    Der maximale Fülldruck deiner Reifen sollte übrigens nicht 3bar sein - der angegebene Fülldruck für maximale Beladung ist 3.2bar an der Hinterachse. Bei Überschreitung des maximalen Fülldrucks passiert auch erstmal nix. Platzen wird so ein Reifen erst bei 10-facher Überschreitung des angegebenen maximalen Fülldrucks. Ein Karkassenfehler aufgrund zu niedrigen Drucks auf der Autobahn ist hingegen schon bei 0.8-1.2bar zu wenig durchaus denkbar.


    Worauf ich eigentlich hinauswollte:
    1.) Reifendruck hat nicht nur was mit der reinen Tragfähigkeit zu tun, sondern auch mit Eigenlenkverhalten, Stabilität, Verschleiß, Verbrauch,... all das hängt aber auch von einer ganzen Menge anderer Faktoren ab. Reifen sind nicht nur schwarz und rund sondern sind tatsächlich ein hochkomplexes Gebilde. Gummimischungen heute können z.B. spritsparend und gleichzeitig gripsteigernd sein, indem ihr Dämpfungsverhalten bei hochfrequenten Schwingungen anders reagiert als bei längerwelligen. Interessantes und sehr umfangreiches Thema.
    2.) der angegebene Mindestdruck bei "kalten" Reifen sollte nicht unterschritten werden. Unabhängig von diesem 20 Grad Gedöns. Wenn's mal 0.2-0.3bar weniger sind, wird aber auch erstmal garnichts passieren.
    3.) die unterschiedlichen Reifendruckangaben für den Beladungszustand haben durchaus Bewandnis - die Ingenieure haben sich da meistens tatsächlich was bei gedacht. Je nach Beladungszustand sollte man sich also dran halten.
    4.) der eco-Reifendruck kann "eco", sonst aber eben nicht viel. Reifen hält länger und hat weniger Rollwiderstand. Dass man mit Komforteinbußen sowie weniger Grip und mehr Bremsweg im Grenzbereich rechnen muss, sollte einem klar sein.

  • @LionPrince
    Nette Ausführung. Wenn man das ganze mal aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet, ist es natürlich absolut korrekt und macht Sinn, wenn man Standardbedingungen voraussetzt.
    Vermutlich kommt es daher, dass es früher mal "warme Reifen", heute "kalte Reifen" heißt; es gibt ja eine ganze Reihe unterschiedlicher Standardbedingungen, die mal 23°C (z.B. "spezifische Bedingungen für gemäßigte Klimata" in der Textilphysik), mal 20°C (z.B. Druckgas-Technik), oder auch mal 0°C ("Normalbedingungen" in Physik und Chemie) als "normal" voraussetzen (ich spare mir mal die Aufzählung der zig DIN/EN/ISO-Normen, in denen das beschrieben wird; kann man sicher auch alles bei Wikipedia nachlesen). Und da ist die relative Luftfeuchte noch gar nicht berücksichtigt.
    Womöglich hat man früher einfach eine andere Norm zugrunde gelegt, oder die Norm hat sich geändert (was ja durchaus mal vorkommt).


    Etwas fehlt mir bei deinen Ausführungen allerdings noch: Der Bezug zu Reifendimensionen, Profil, und vielleicht der direktere Bezug zum Fahrstil. Ist ja auch nicht ganz unerheblich.


    Ich fahre z.B. mit den 225/35 18" Sommerreifen im "sportlichen" Fahrbetrieb vorne 2.5 und hinten 2.4, weil die Reifen in dem Bereich (subjektiv) am besten greifen. Natürlich leidet dadurch der Komfort. Aber interessanterweise stelle ich auch nach 100 km Autobahn nur eine minimale Druckerhöhung von jeweils 0.1 fest.
    Mit 195/55 16" Winterreifen und eher gemächlichem Fahrstil kann der optimale Druck aber durchaus ein anderer sein, und sich auch stärker ändern. Das sollte man berücksichtigen, denke ich.


    Aber zumindest haben wir ja schon mal geklärt, dass man immer bei 20°C messen sollte. Also immer das Reifenthermometer mitnehmen ;) (Hätte man ja gleich in die Drucksensoren einbauen können - oder "normieren" die den Druck von sich aus? Das wär dann mal innovativ ;)).

  • @LionPrince


    Was studierst Du?

    Ich hab Maschinenbau mit Vertiefung auf Konstruktionstechnik und Antriebstechnik studiert. Ich bilde mir auf die Theorie aber nicht so viel ein, wenn ich's nicht ich praktisch mal ausprobiert hab ^^

    @ Also empfiehlst du 2,2/2,0 (v/h)? Wann müssen die anliegen - kalt oder "warmgefahren"?

    Empfehlen würde ich irgendwo im Rahmen der in der Bedienungsanleitung gegebenen Werte zu bleiben. Da kannst eigentlich nicht wirklich was falsch machen. Einfach deswegen, weil man nicht alles richtig machen kann. Du kannst es bestenfalls "anders" machen. Einen Kompromiss geht man so oder so ein.
    Ich persönlich fahre tatsächlich mit 2.2/2.0 angezeigt morgens bei Fahrtbeginn. Zum Prüfen/Auffüllen bin ich das letzte mal einfach am kühlsten Morgen der Woche paar Minuten früher los und hab auf'm Weg zur Arbeit an der Tanke angehalten und Luft aufgefüllt. Wenn's im Herbst nochmal kühler wird, wird mir bei Fahrtantritt bestimmt auch wieder irgendein niedrigerer Wert angezeigt und ich fahr auch paar Wochen so rum - Wer korrigiert schon jeden Tag den Reifendruck? Mein Streckenprofil sieht so aus, dass ich jeden Montag gegen 0445 ins Auto steig und 2min später auf der Autobahn bin. Nach weiteren 4min bin ich aus der auf 130 begrenzten Zone raus. Spätestens hier möchte ich mindestens 2.2/2.0 im Display haben. Das war jetzt die letzte Woche nicht mehr der Fall, also hab ich mal wieder nahgefüllt. Das werd ich dann im Herbst irgendwann wieder so machen.
    Jetzt kann man natürlich auch einfach bisschen mehr reintun und wenn's 10 Grad kälter wird, ist man immer noch safe. Aber ich fahr halt lieber am unteren Ende des Reifendrucks, weil ich's gern so griffig und unnervös wie möglich hab.
    Nochmal: Meine persönliche Vorliebe, mein persönliches Vorgehen bei der Reifendruckkontrolle, begründet auf meinem persönlichen Fahrverhalten und -Profil. Schwarz und weiß gibt's bei Reifen abgesehen von ihrem Erscheinungsbild nicht, ist immer irgendwie grau.